Gellu Naum

Discurs către pietre

Pe o cale ferată pustie le vorbeam pietrelor
cu un foşnet prelung seara cădea
ceva se surpa printre crengi se năruia
într-o haotică geometrie
Calea ducea în patru direcţii diferite
peste câmpiile grele ale cerului

mecaniful fuma liniştit puteam alege locul
îl alegeam

atunci se năştea în noi o aspră penitenţă
seara ne cădea părul îl puneam deoparte
cu un foşnet prelung cerul cădea
ceva se surpa în noi se năruia

Oskar Pastior

Rede auf dem Bahndamm an die Steine

Ich sprach auf einem leeren Bahndamm zu den Steinen
mit ausgedehntem Rauschen mel der Abend ein
zwischen den Zweigen ging etwas zu Ende
das auf Chaosgeometrie hinauslief
die schweren Felder führten jetzt in vier
verschiedene Richtungen am Himmel

seeleruhig schmauchte der Mechaniker es gab genügend Plätze
ich wählte einen

da saßen wir auf einmal eine strenge Strafzeit ab
am Abend fiel das Haar uns aus  wir legten es auf die Seite
mit ausgedehntem Rauschen fiel der Himmel ein
in uns brach was zusammen ging zu Ende
 

Aus dem Rumänischen von Oskar Pastior.
Aus: Gellu Naum: Rede auf dem Bahndamm an die Steine. Gedichte.
Übersetzt von Oskar Pastior.
Nachworte von Oskar Pastior und Ernest Wichner.
Zürich: Ammann 1998


Gellu Naum | Geboren 1915 in Bukarest, gestorben 2001 ebd. Studium der Philosophie in Bukarest und Paris; dort Kontakte zu den Surrealisten. Nach Rückkehr Gründung einer Surrealistengruppe in Bukarest; 1947 Verbot surrealistischer Aktivitäten und Publikationen. Neben Lyrik und Prosa veröffentlichte Naum ab 1968 Kinderbücher, Theaterstücke und übersetzte u. a. Beckett, Char, Diderot und Kafka.
 

Buchpublikationen in deutscher Übersetzung (Auswahl):  Black Box. Gedichte.  Übersetzt von Georg Aescht, Ernest Wichner. Klagenfurt/Salzburg: Wieser Verlag 1993 –  Rede auf dem Bahndamm an die Steine. Gedichte.  Rumänisch/deutsch. Übersetzt von Oskar Pastior. Basel/Weil am Rhein: Urs Engeler Editor 1998 –  Pohesie. Sämtliche Gedichte.  Übers. s.o. Basel/Weil am Rhein. s.o., 2006 Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie 1999

Oskar Pastior | Geboren 1927 in Hermannstadt/Rumänien, gestorben 2006 in Frankfurt/M. 1945–1949 Deportation in sowjetische Arbeitslager. 1968 Übersiedlung in die Bundesrepublik. Lyriker und Übersetzer, u. a. von Chlebnikov, Claus, Tzara und Naum.
 

Buchpublikationen (Auswahl):  Das Hören des Genitivs.  München: Hanser 1997 –  Gimpelschneise in die Winterreise von Wilhelm Müller.  Basel: Urs Engeler Editor 1997 –  … sage, du habest es rauschen gehört.  Werkausgabe Bd. 1, Hg. Ernest Wichner. München: Carl Hanser 2006 Literaturpreise: Preis der StadtMünster für Europäische Poesie 1999, Erich-Fried-Preis 2002, Georg-Büchner-Preis 2006


Begründung der Jury

Gellu Naum und sein Übersetzer Oskar Pastior erhalten den mit 30.000 DM dotierten Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie 1999. Nach Andrea Zanzotto / Donatella Capaldi, Ludwig Paulmichl, Peter Waterhouse (1993), Inger Christensen / Hanns Grössel (1995) und Zbigniew Herbert / Klaus Staemmler (1997) sind sie die vierten Träger eines Preises, der für ein dichterischesWerk und seine eigenständige Übersetzung vergeben wird. Die Juroren Renate Birkenhauer, Michael Braun, Harald Hartung, Joachim Sartorius und Norbert Wehr waren einstimmig der Überzeugung, dass es sich bei demDichter/Übersetzer-Paar Gellu Naum und Oskar Pastior um eine selten glückhafte Verbindung handelt. Beide – der in Paris vom Surrealismus initiierte Rumäne und der aus Rumänien stammende, der französischen Oulip-Gruppe angehörende Deutsche – sind poetische Transit-Reisende, beide sind Dichter und Übersetzer. Antipoden als Dichter, und Geistesverwandte als Übersetzer: eine aufregende, produktive Konstellation! Sie hat sich u.a. in "Black Box" (1993) niedergeschlagen und in einem zweisprachigen, jüngst erschienenen Band: "Rede auf dem Bahndamm an die Steine" (1998). Gellu Naum, 1915 in Bukarest geboren, ist der Nestor der rumänischen Avantgarde, der letzte lebende Surrealist, einer der großen alten Männer der europäischen Poesie. Nachdem er 1938 in Paris die Bekanntschaft André Bretons gemacht hatte, wurde er in Bukarest zum Mentor einer Gruppe um Gherasim Luca, Paul Paun, Virgil Teodorescu und Dols Trost. Das Zentrum der surrealistischen Bewegung habe sich durch sie nach Bukarest verlagert, lobte Breton die Lebendigkeit, Produktivität und den Reichtum der Gruppe. 1947, nach der kommunistischen Machtergreifung, wurden ihre Aktivitäten und Publikationen verboten. Erst 1968, während einer Tauwetterperiode, konnte wieder ein Band von Naum erscheinen. Seither hat er, ständig bedrängt und zensiert, zahlreiche Gedicht-, Prosa- und Kinderbücher, Theaterstücke und Marionettenspiele geschrieben, außerdemWerke von Diderot, Kafka, Beckett, Char, Gracq u.a. ins Rumänische übertragen. "Die Poesie abschütteln, indem man Poesie macht" – unter diesem Motto steht Gellu Naums gesamtes dichterisches Werk. Er hat mit dieser Maßgabe eine unkonventionelle Poetologie entwickelt, die totale Eigenständigkeit beansprucht, alles tradiert Poetische ablehnt und die Dichtung als radikal individuelle Ausdrucks-, Erkenntnis- und Seinsweise begreift.